Ein unerfüllter Kinderwunsch kann für Betroffene sehr belastend sein, denn man fragt sich unweigerlich, warum es nicht klappt und an wem es wohl liegt. Ein unerfüllter Kinderwunsch liegt dann vor, wenn es bei einem Paar auch nach einem Jahr ungeschütztem Geschlechtsverkehr zu keiner Schwangerschaft kommt. Oft denken die Frauen, dass es nur an ihnen liegt – doch dies ist nur die halbe Wahrheit. Denn die Ursache liegt genauso oft beim Mann.
…ist meist auch der Schwierigste – nämlich sich einzugestehen, dass es nicht klappt mit einer Schwangerschaft. Die Gynäkologin Mariyana Despodova, Oberärztin in der Frauenpraxis KSA am Bahnhof in Aarau, weiss, dass sich viele betroffene Paare schwer damit tun: «Als Paar darüber zu reden und sich professionelle Hilfe zur Abklärung und einer allfälligen Behandlung zu suchen, braucht Zeit und Mut. Denn beide Partner fragen sich, an wem es liegt, dass der Kinderwunsch sich nicht erfüllt. Wichtig ist, dass man diesen ersten Schritt gemeinsam geht, um Klarheit zu bekommen, und sich nicht dafür zu schämen.»
Aktuell sind etwa 15 Prozent aller Paare, die sich ein Kind wünschen, betroffen. Und statistisch gesehen liegen die Ursachen für den unerfüllten Kinderwunsch etwa zu gleichen Teilen bei beiden Geschlechtern. Da es wesentlich einfacher ist, Fruchtbarkeitsstörungen beim Mann zu untersuchen, fängt man in der Regel damit an. Mariyana Despodova: «Eine Samenprobe wird im Labor auf drei Faktoren untersucht: Es wird zuerst die Anzahl an vorhandenen Spermien gezählt. Danach wird die Beweglichkeit der Spermien geprüft, das heisst, wie gut und wie schnell sie sich bewegen. Und letztlich wird geschaut, wie gut die Spermien ausgebildet sind.» In Zahlen bedeutet dies, dass bei etwa 16 Millionen Spermien pro Milliliter Samenflüssigkeit 4 % normal geformt und 30 % gut beweglich sein sollten.
Zeigt dieser erste Test, dass die Ursache beim Mann liegen könnte, folgen weitere Untersuchungen der Hoden und Nebenhoden sowie der Samenwege. Stellt man beispielsweise eine gestörte hormonelle Steuerung der Hodenfunktion fest, können fehlende Hormone ersetzt oder überschiessende Hormone reguliert werden. Lässt sich die Fruchtbarkeit nicht verbessern oder sind die Ursachen nicht behandelbar, besteht die Möglichkeit der künstlichen Befruchtung, indem gezielt intakte Spermien herausgesucht und mit der Eizelle der Frau verbunden werden.
Liegt die Ursache für den unerfüllten Kinderwunsch bei der Frau, spielen in den meisten Fällen hormonelle Störungen und/oder organische Störungen eine Rolle. Diese Probleme werden oft erst dann entdeckt, wenn man den Ursachen für den unerfüllten Kinderwunsch auf den Grund geht.
«Bei hormonellen Störungen, die deutlich überwiegen, kommt es oft zu Funktionsstörungen der Eierstöcke oder einer Störung in der Eizellreifung», erklärt die Gynäkologin. «Oft bleibt der Eisprung aus oder der Gelbkörper bildet sich nicht richtig aus.» Ursache dafür kann unter anderem eine Überproduktion von männlichen Geschlechtshormonen oder des Hormons Prolaktin sein, was zu Zyklusstörungen und bis hin zum Ausbleiben der Menstruation führen kann. Auch eine Schilddrüsenfehlfunktion kann vorliegen oder ein PCO-Syndrom (PCOS: Polyzystisches Ovarialsyndrom). Bei PCOS haben die Eierstöcke überdurchschnittlich viele Eibläschen, aber keines davon reift aus, sodass kein Eisprung stattfindet und das Ei auch nicht befruchtet werden kann. Das Ausbleiben des Eisprungs führt zur Unfruchtbarkeit. Wird PCOS diagnostiziert, ist es gemäss Mariyana Despodova wichtig, dieses Syndrom zu behandeln: «Die Diagnose ist nicht immer einfach, da sie aufgrund fehlender Symptome oft nicht eindeutig erscheint. Steht sie aber fest, muss dringend eine Behandlung erfolgen, um Langzeitrisiken wie Diabetes Typ 2, Arteriosklerose, der Gefahr eines Hirnschlages oder Gebärmutterkrebs vorzubeugen.»
Je nach Ergebnis der Zyklusbeobachtung und der damit verbundenen Hormonanalyse wird eine individuell auf die Patientin abgestimmte Therapie empfohlen. Eine Hormonbehandlung kann sich über einen längeren Zeitraum erstrecken und mit etlichen Arztbesuchen und Ultraschalluntersuchungen verbunden sein.
Ein weiterer Faktor, den es zu beachten gilt, ist das Alter, wie Mariyana Despodova betont: «Zwischen 20 und 30 ist eine Frau am fruchtbarsten. Bereits mit 30 sinkt die Fruchtbarkeit leicht und ab dem 35. Lebensjahr sogar deutlich. Denn die Anzahl und die Qualität der Eizellen nimmt mit zunehmendem Alter ab und ein Eisprung findet nicht mehr bei jedem Zyklus statt, so dass eine natürliche Schwangerschaft ab einem Alter von 45 Jahren sehr unwahrscheinlich wird. Zudem steigt das Risiko einer Fehlgeburt ab 35 deutlich an.» Die Gynäkologin rät, keine Zeit zu verlieren, wenn mit 35 noch immer ein Kinderwunsch besteht, und eine spezialärztliche Beratung zu suchen.
Bei etwa einem Drittel der Patientinnen entdeckt man, dass die Eileiter komplett oder teilweise verschlossen sind. Mariyana Despodova erklärt: «Dies ist oft auf Endometriose, Entzündungen, Operationen oder vorangegangene Eileiterschwangerschaften zurückzuführen. Durch Verwachsungen oder Verklebungen des Eileiters ist der Transport der Eizelle entweder deutlich erschwert oder sogar unmöglich.» Im Durchschnitt leiden rund zehn Prozent der Frauen an Endometriose – bei unerfülltem Kinderwunsch liegt dieser Prozentsatz bei 30. «Die entzündlichen Prozesse der Endometriose können sich auch toxisch auf die Eizelle auswirken, was zu einer schlechteren Qualität der Eizelle führt, die sich letztlich dadurch nicht einnisten kann.» Um den Kinderwunsch erfüllen zu können, ist in diesen Fällen oft ein operativer Eingriff nötig.
Es kann vorkommen, dass sich durch operative Eingriffe oder Entzündungen Vernarbungen am Gebärmutterhals bilden. Diese können dazu führen, dass die Spermien nur noch schwer zur Eizelle im Eileiter gelangen können. Auch Myome (Muskelknoten in der Gebärmutter) können dazu führen, dass sich ein befruchtetes Ei nicht in der Gebärmutterschleimhaut einnisten kann.
Viele Schwangerschaften enden bereits vor oder mit der erwarteten Monatsblutung – und dies meist gänzlich unbemerkt. Mariyana Despodova: «In den ersten drei Monaten liegt die Rate der Fehlgeburten bei etwa 25 Prozent. Die Ursache für eine Fehlgeburt liegt meist in einer genetischen Fehlbildung des Ungeborenen. Auch Myome können zu Fehlgeburten führen oder Infektionen der Mutter. Oft kann man jedoch nicht genau sagen, warum man ein Kind in den ersten drei Monaten verloren hat.»
Es gibt eine ganze Menge, was man tun kann, um schwanger zu werden. Die Gynäkologin ermutigt: «Es klingt vielleicht abgedroschen, aber ein gesunder Lebensstil ist enorm wichtig, wenn man schwanger werden möchte. Dazu gehört eine gesunde Ernährung, regelmässige Bewegung, aber nicht übermässiger Sport. Gesunder und genügend Schlaf, wenig Stress und allgemein ein gutes Umfeld, das sich positiv auf die Psyche auswirkt.» Zudem sollte man seinen Zyklus kennen und damit auch die fruchtbarsten Tage.
Wenn all das nicht hilft und man nach 12 Monaten auf natürlichem Weg noch nicht schwanger geworden ist, rät die Ärztin zu weiteren Abklärungen. Wenn man bereits 35 ist, rät sie, mit den Abklärungen bereits nach sechs Monaten zu beginnen. «Wichtig ist, dass man Gewissheit hat und die weiteren Schritte planen kann. Oft hilft eine einfache Hormonbehandlung, manchmal ist eine Operation notwendig und manchmal bleibt nur der Weg einer künstlichen Befruchtung. Ich ermutige meine Patientinnen, diesen Weg der Abklärung und Therapie zu gehen, weil ich weiss, dass es sich lohnt – denn jedes Kind ist ein grosses kleines Wunder.»